Schienenfahrzeuge sind ressourcenschonende Verkehrsmittel und erfordern, vor allem aufgrund der hohen Personendichten und Fahrgeschwindigkeiten, bei der Auslegung und dem Betrieb besondere Sorgfalt.
Aus der Perspektive der Brandsicherheit bestehen die Herausforderungen insbesondere in den von Passagieren zusätzlich eingebrachten, unbekannten Brandlasten sowie den infrastrukturell bedingt erschwerten Evakuierungsmöglichkeiten.
Die derzeitige, europäisch harmonisierte Normung des Brandschutzes in Schienenfahrzeugen adressiert hauptsächlich das Vermeiden von Zündquellen, das Reglementieren des Brandverhaltens der Fahrzeugkomponenten sowie den Einbau feuerwiderstandsfähiger Raumabtrennungen.
Bei den notwendigen Material- und Produktprüfungen kommt auch teilweise ein Zündmodell zur Anwendung, das die thermische Einwirkung eines brennenden Gepäckstückes abbildet, da Reisegepäck einen erheblichen Anteil der vorhandenen Brandlast ausmachen und infolgedessen der auslösende Faktor für eine Brandausbreitung bis hin zur Durchzündung des gesamten Fahrzeuges sein kann.
Gleichwohl ein Gepäckstückbrand also ein typisches Szenario zur Auslegung von Schienenfahrzeugen darstellt, existieren bisher kaum fundierte Kenntnisse darüber, welche stofflichen und energetischen Emissionen bei einem solchen Ereignis typischerweise zu erwarten sind.
Darüber hinaus ist unklar, inwiefern sich die von einem brennenden Gepäckstück freigesetzten und toxischen Substanzen auf die Erträglichkeitskonditionen exponierter Personen auswirken.
Infolgedessen resultiert für diese Arbeit eine zweigliedrige Aufgabenstellung, die zum einen darin besteht, das Brandverhalten und die charakteristischen Emissionen eines typischen Gepäckstückes experimentell zu bestimmen.
Zum anderen sollen diese Freisetzungen in einem Schienenfahrzeug numerisch simuliert und daraufhin die Sicherheit von Passagieren und Personal mit Ingenieurmethoden beurteilt werden.
Aus einer theoretischen Analyse potentieller Brandentstehungsszenarien sowie der retrospektiven Betrachtung tatsächlicher Brandereignisse in Schienenfahrzeugen lässt sich folgern, dass Brandstiftung die häufigste Ursache für Brände im Fahrgastbereich darstellt und vorhandenes Reisegepäck sowohl als sekundäres Zündinitial wirken als auch eine nicht zu vernachlässigende Brandlast repräsentieren kann.
Daher werden brennende Reisegepäckstücke bereits in Normen und speziellen Analysen als Zündinitiale oder beispielsweise für Bemessungsbrände verwendet.
Allerdings fehlen Angaben zu stofflichen Freisetzungen, wie toxischen Gasen oder Rauchpartikeln.
Für die experimentellen Untersuchungen wird eine Versuchskonfiguration entwickelt, mit der das Brandverhalten von Reisegepäck unter möglichst realitätsnahen Bedingungen charakterisiert und die benötigten Brandkenngrößen erfasst werden können.
Vorversuche, in denen fünf identische Gepäckstücke verschiedenen Zündinitialen und -konfigurationen ausgesetzt werden, führen zu dem Ergebnis, dass sich ein genormter Gasbrenner, der die Wärmeeinwirkung einer brennenden, zerknüllten Zeitung simuliert, am besten als Zündinitial für die Hauptversuche eignet.
Für diese Hauptversuche werden acht Reisegepäckstücke identifiziert, hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und Komposition typisiert und nachfolgend brandtechnologisch untersucht.
Anhand der Messdaten ist es nun möglich, ein Modell zu entwickeln, welches das Brandverhalten eines typischen Reisegepäckstückes vollständig beschreibt. Dieser Gepäckstück-Bemessungsbrand ist funktional dargestellt als eine quadratisch ansteigende Entwicklungsphase, eine Vollbrand- und eine Abklingphase.
Neben der zeitabhängigen Wärmefreisetzung werden Funktionen für die Emission toxischer Leitgase und sichttrübender Rauchpartikel abgeleitet.
Zunächst erfolgt die numerische Umsetzung des Gepäckstück-Bemessungsbrandes zusammen mit der verwendeten Experimentalkonfiguration.
Die Gegenüberstellung von Rechenergebnissen und Messdaten bestätigt, dass sich die energetischen und stofflichen Brandemissionen eines Gepäckstückes mit dem Fire Dynamics Simulator zuverlässig abbilden lassen.
Daraufhin fungiert der Gepäckstück-Bemessungsbrand als Initialbrand und wird in die Geometrie eines Doppelstockwagens implementiert.
Eine Serie von 37 Simulationen befasst sich mit 24 unterschiedlichen Brandszenarien.
In diesen werden ausgewählte Parameter, wie der Standort des Initialbrandes, die Ventilationskonditionen sowie die brandtechnologischen Materialkennwerte und die zugehörigen Pyrolysemodelle der Fahrzeugkomponenten variiert.
Darüber hinaus werden geometrische Diskretisierungen und Berechnungsmodi untersucht, um die Simulationsrechnungen möglichst effizient zu gestalten.
Die Personensicherheit lässt sich anhand der Simulationsergebnisse beurteilen, indem sowohl die thermischen Einwirkungen als auch die Exposition gegenüber toxischen Gasen quantifiziert werden.
Letztere stehen in direkter Korrelation zur Rauchverteilung in den Wagenbereichen und hängen maßgeblich von der Position des Initialbrandes innerhalb des Fahrzeuges ab.
Die Ergebnisse der Berechnungen belegen ferner, dass - es nicht möglich ist, die Beurteilung der Personensicherheit auf ein einzelnes Erträglichkeitskriterium zu reduzieren, das die anderen mit abdeckt, - nur die Freisetzungen eines einzelnen, brennenden Gepäckstückes zu einer Überschreitung der Erträglichkeitskriterien führen können, - mitbrennende Fahrzeugkomponenten zu kritischeren Zuständen führen, - mitbrennende Fahrzeugkomponenten in den meisten Fällen von selbst verlöschen und - bei speziellen geometrischen Konfigurationen allerdings auch eine rasche Brandausbreitung (Flashover) möglich ist.
Diese Untersuchung führt zu der Erkenntnis, dass der gegenwärtig präskriptiv geforderte Brandschutz in Schienenfahrzeugen die Auswirkungen eines Gepäckstückbrandes auf die Personensicherheit bei infrastrukturell bedingter Evakuierungsverzögerung nicht ausreichend berücksichtigt.
Um die Sicherheit zu verbessern, werden Maßnahmen entwickelt und deren technische Realisierbarkeit sowohl hinsichtlich des Systems >>Fahrzeug<< als auch der umgebenden Infrastruktur diskutiert.