Aus der Gruppe der ß-Lactamantibiotika sind es vor allem die Penicilline, die in der Veterinärmedizin weit verbreitet eingesetzt werden. Bei Lebensmittel-liefernden Tieren kann dies zu Rückständen z.B. in Fleisch und Milch führen. Dementsprechend wurden in der EU Höchstmengen für Penicillin-Rückstände festgesetzt, deren Einhaltung von den zuständigen Behörden überprüft wird. Die Glykopeptidantibiotika Vancomycin und Teicoplanin kommen praktisch ausschließlich in der Humanmedizin zur Behandlung Penicillin-resistenter Krankheitserreger zum Einsatz. Das strukturanaloge Glykopeptidantibiotikum Avoparcin hingegen wurde in großem Umfang als Futterzusatzstoff zur Leistungssteigerung in der Tiermast eingesetzt. Avoparcin ist strukturell mit dem Glykopeptidantibiotikum Vancomycin sehr eng verwandt, dem oftmals letzten wirksamen Antibiotikum zur Behandlung Penicillin-resistenter Keime. Seit Beginn der 90er Jahre traten verstärkt Vancomycin-resistente Keime vor allem in Fäkalien und Fleisch von Tieren auf, denen zuvor Avoparcin als Futterzusatzstoff verabreicht worden war. Obwohl der Beweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Avoparcin-Einsatz und der Ausbildung Vancomycin-resistenter Keime bisher nicht geführt werden konnte, wurde sein Einsatz 1996 EU-weit verboten.
Durch eine neue Strategie, die sich stark an den Wirkmechanismen von ß-Lactam- und Glykopeptidantibiotika orientierte, sollten multispezifische Antikörper gewonnen werden, die sowohl zum Nachweis von Penicillinrückständen in Fleisch oder Milch als auch zum Nachweis der unzulässigen Verwendung von Avoparcin in Futtermitteln geeignet sein sollten. Die vorliegende Arbeit beschreibt die Gewinnung und Charakterisierung von Antiseren gegen NαAcetyl-Lysinyl-D-Alanyl-D-Alanin. D-Alanyl-D-Alanin-terminierte Peptide treten intermediär während der bakteriellen Zellwandsynthese auf und stellen den Angriffspunkt sowohl der ß-Lactam- als auch der Glykopeptidantibiotika dar. Trotz ihrer grundlegend unterschiedlichen chemischen Struktur beruht der Wirkmechanismus beider Antibiotikaklassen auf einer Störung im Zusammenspiel des Peptids D-Alanyl-D-Alanin (D-Ala-D-Ala) mit bakteriellen D,D-Transpeptidasen. D-Alanyl-D-Alanin ist Bestandteil eines bakteriellen Zellwandprecursors, dem Acetylmuramylpentapeptid. D,D-Transpeptidasen katalysieren im letzten Schritt der bakteriellen Zellwandsynthese eine Transpeptidierung, wobei ein terminales D-Alanin-Molekül aus dem Carboxy-terminalen D-Alanyl-D-Alanin-Rest des Acetylmuramylpentapeptid abgespalten wird. Gleichzeitig wird der verbleibende Peptidrest auf eine benachbarte Peptidkette übertragen.
Diese Reaktion ist für Bakterien essentiell, da sie zur Quervernetzung und somit zur Stabilisierung der bakteriellen Zellwand führt. Aufgrund von Strukturanalogien zwischen D-Alanyl-D-Alanin und den ß-Lactamantibiotika, werden letztere ebenfalls von D,D-Transpeptidasen als Substrat akzeptiert. Im Gegensatz zur Hydrolyse von D-Alanyl-D-Alanin-terminierten Peptiden werden ß-Lactamantibiotika nach Hydrolyse des ß-Lactamringes kovalent im aktiven Zentrum der D,D-Peptidasen gebunden. Dies führt zur irreversiblen Hemmung dieser Enzyme, die nun für die weitere Zellwandsynthese nicht mehr zur Verfügung stehen.
Während ß-Lactamantibiotika als "molekulare Mimikry" von D-Alanyl-D-Alanin zu einer irreversiblen Hemmung der D,D-Peptidasen führen, bilden die Glykopeptidantibiotika äußerst stabile Komplexe mit D-Alanyl-D-Alanin-terminierten Peptiden. Auf diese Weise wird den D,D-Peptidasen der Zugang zu ihrem Substrat verwehrt. Auch in diesem Fall unterbleibt die Quervernetzung der Zellwand von wachsenden Bakterien, was wie bei den ß-Lactamantibiotika zum Tod der betroffenen Zellen führt.
Da das Dipeptid D-Ala-D-Ala die eigentliche Zielsequenz der D,D-Peptidasen darstellt, sollte es prinzipiell möglich sein, durch Immunisierung mit einem D-Alanyl-D-Alanin-Immunogen Antikörper zu erhalten, die ähnliche Bindungseigenschaften zu diesem Dipeptid wie eine D,D-Transpeptidase aufweisen. Diese Antikörper sollten sowohl an D-Alanyl-D-Alanin als auch an Penicilline binden, während die Wechselwirkung mit D-Alanyl-D-Alanin-terminierten Peptiden in Gegenwart von Glykopeptidantibiotika unterbleibt.
Ein solcher multispezifischer Antikörper wäre gleichermaßen in immunologischen Testsystemen sowohl zum gruppenspezifischen Nachweis der ß-Lactamantibiotika als auch der Glykopeptid-antibiotika einsetzbar.
Sowohl NαAcetyl-L-Lys-D-Ala-D-Ala als auch NαAcetyl-L-Lys-L-Ala-L-Ala, letzteres sollte für die spätere Charakterisierung der gewonnenen Antikörper verwendet werden, wurden in einer mehrstufigen Synthese ausgehend von L-Lysin und den Dipeptiden D-Alanyl-D-Alanin bzw. L-Alanyl-L-Alanin hergestellt.
Neben der Charakterisierung der Peptide mittels chromatographischer und IR-spektroskopischer Methoden wurde auch das Komplexbildungsverhalten der synthetisierten Peptide untersucht, welches mit der biologischen Aktivität korrelieren sollte. In einem dünnschichtchromatographischen Verfahren konnte die Komplexierung des NαAcetyl-Lys-D-Alanyl-D-Alanins durch Vancomycin und somit die erfolgreiche Synthese dieses Peptids eindeutig nachgewiesen werden.
Als Trägerprotein für die Immunogensynthesen wurde eine Glucoseoxidase (GOD) aus Aspergillus niger verwendet, welche in der Literatur als hochimmunogenes Trägerprotein beschrieben wird. Für die Synthesen der für die Immunisierung benötigten NαAc-Lys-D-Ala-D-Ala- bzw. Ampicillin-GOD-Immunogene wurde auf die Natriumperiodatmethode zurückgegriffen. Nach Aktivierung der Glucoseoxidase mittels Natriumperiodat, wurden hierbei die Haptene kovalent über ihre jeweils freien Aminogruppen an die nach der Periodatspaltung an der Glucoseoxidase verbliebenen kopplungsfähigen Aldehydgruppen kovalent gebunden. Die hierbei intermediär entstandenen Schiff’schen Basen wurden anschließend durch Natriumborhydrid zu stabilen sekundären Aminen reduziert. Nach dem gleichen Prinzip wurde zusätzlich ein Vancomycin-Meerrettichperoxidase-Konjugat hergestellt, das später erfolgreich zum Nachweis von Protein-gebundenem NαLys-D-Ala-D-Ala verwendet wurde. Zur Detektion der Antikörper/Antigen-Wechselwirkung und zum Aufbau verschiedener kompetitiver ELISA-Techniken wurden sowohl ein NαAc-Lys-D-Ala-D-Ala-Rinderserumalbumin-Konjugat (BSA-Lys-D-Ala-D-Ala) als auch ein NαAc-Lys-D-Ala-D-Ala-Meerrettichperoxidase-Konjugat (HRP-Lys-D-Ala-D-Ala) hergestellt. Beide Konjugate wurden durch eine Glutardialdehydkopplung synthetisiert.
Die erfolgreiche Synthese der NαAc-Lys-D-Ala-D-Ala-Konjugate konnte mit Hilfe einer stereospezifischen HPLC-Methode über den proteingebundenen D-Alaninanteil nachgewiesen werden, welcher durch eine schonende saure Totalhydrolyse aus den Konjugaten freigesetzt wurde. Zusätzlich konnte die erfolgreiche Synthese aller Konjugate mit Hilfe verschiedener Enzym-Rezeptortest- oder immun-chemischer Verfahren nachgewiesen werden.
Bereits 6 Wochen nach der Erstimmunisierung dreier Kaninchen mit dem GOD-NαAc-Lys-D-Ala-D-Ala-Konjugat konnte in den Seren aller Tiere ein hoher Titer spezifischer Antikörper gegen D-Ala-D-Ala nachgewiesen werden. Allerdings zeigten diese Seren keine Kreuzreaktivität gegenüber Penicillinen. Auch eine Nachimmunisierung mit einem Glucoseoxidase-Ampicillin-Konjugat nach der 14. Woche, die den Immunresponse in die gewünschte Richtung lenken sollte, brachte keinen Erfolg. Dennoch konnte die prinzipielle Richtigkeit der zugrundeliegenden Strategie zur Gewinnung von multispezifischen Penicillin-Antikörpern anhand der in diesen Experimenten gewonnenen Antiseren weder belegt noch widerlegt werden. Anhand von Bindungsstudien ("Epitop Mapping") mit verschiedenen Peptiden (NαAcetyl-Lysin, Acetyl-D-Alanyl-D-Alanin, NαAc-Lys-L-Ala-L-Ala u.a.) konnte gezeigt werden, dass ausschließlich das zur Immunisierung verwendete Hapten Nα Acetyl-Lys-D-Ala-D-Ala mit hoher Affinität von den gewonnenen Antikörpern gebunden wurde.
Für das eigentlich interessierende Strukturmerkmal D-Alanyl-D-Alanin in isolierter Form hingegen konnte keine nennenswerte Affinität gegenüber den Antikörpern festgestellt werden. Diese Befunde zeigten, dass sich in diesem Punkt die Bindestellen bzw. Eigenschaften der gewonnenen Antikörper signifikant von D,D-Transpeptidasen unterscheiden, weshalb die strukturelle Voraussetzung für eine Kreuzreaktivität der gewonnenen Antikörper gegenüber Penicillinen von vornherein nicht gegeben war.
Das Verhalten der gewonnenen Antikörper gegenüber Glykopeptidantibiotika hingegen zeigte große Ähnlichkeit mit demjenigen von bakteriellen D,D-Transpeptidasen und stand somit im Einklang mit den postulierten Erwartungen.
Aufgrund der Bildung von stabilen Glykopeptidantibiotika/Lys-D-Ala-D-Ala-Komplexen führte die Anwesenheit von Glykopeptidantibiotika in allen ELISA-Systemen zu einer deutlichen Herabsetzung der Bindung von Lys-D-Ala-D-Ala-spezifischen Antikörper an die in den Testsystemen eingesetzten Nα-Ac-Lys-D-Ala-D-Ala-Protein- bzw. Enzym-Konjugate. Diese Eigenschaft der Seren wurde Grundlage für die Entwicklung eines Screeningtests auf Avoparcin in Futtermitteln, mit dem ein Avoparcinzusatz im früher zulässigen Anwendungsbereich von 5 - 45 mg/kg Futter sicher nachgewiesen werden sollte.
Unter optimierten Testbedingungen wurde eine 50%ige Hemmung der Antikörper-D-Alanyl-D-Alanin-Wechselwirkung bereits durch Standardlösungen mit Konzentrationen zwischen 100 - 300 ng/ml Avoparcin erzielt. Auf der Suche nach geeigneten Extraktionsbedingungen von Avoparcin aus Futterproben führte nur die Extraktion mit Aceton-Salzsäure-Gemischen nach der offiziellen EU-Methode (mikrobiologischer Hemmstofftest) zu befriedigenden Ergebnissen. Allerdings wurden auch hierbei Störungen des Testsystems beobachtet, die nur durch eine starke Verdünnung (Faktor 30) der Extrakte zu unterbinden waren.
Ein Avoparcin-Screening an 50 verdeckten Futterproben mit Avoparcingehalten im Rahmen der vor dem Verbot eingesetzten Konzentrationen zeigte, dass mit diesem Testsystem ein unzulässiger Zusatz von Avoparcin in der Mehrzahl der Fälle sicher nachzuweisen sein sollte. Somit konnte bestätigt werden, dass die vorgestellten Strategien zur Gewinnung von Antikörpern auf Grundlage des natürlichen Wirkmechanismus der Glykopeptidantibiotika zu einem brauchbaren ELISA-Screening-test für Avoparcin geführt haben.
Dieses positive Ergebnis der vorliegenden Arbeit zeigt somit einen neuen Weg zur Gewinnung spezifischer Rezeptoren für die Rückstandsanalytik auf, auch wenn ein weiteres Ziel dieser Arbeit, welches zu einem multi-spezifischen Rezeptor für die Analytik von ß-Lactamantibiotika führen sollte, nicht erreicht wurde.