Metallkomplexe mit Thiosemicarbazonen und Thioharnstoffen als Liganden sind heute gut untersucht. Entsprechende Selenverbindungen sind nur wenige bekannt und vergleichende Betrachtungen sehr selten. Für Vergleichsstudien von Komplexen mit Organoschwefel- und Organoselenliganden werden acetylpyridylsubstituierte Thio- und Selenosemicarbazone sowie para-nitro- bzw. para-methyl-benzoylsubstituierte Thio- und Selenoharnstoffe mit der gemeinsamen Chalkogenoamidgrundeinheit C(E)N(H) (E: S, Se) eingesetzt. Die Thio- und Selenoureatokomplexe von Gold, Palladium, Platin, Ruthenium und Gallium sowie Thio- und Selenosemicarbazonatokomplexe von Gold(I), Palladium(II), Platin(II), Vanadium(IV) und Vanadium(V), Zinn(IV), Indium(III), Antimon(III) und Bismut(III) dieser Arbeit lassen sich durch Substitution der Abgangsgruppe einer Metallverbindung mit einem deprotonierten Chalkogenoamid synthetisieren. Sie zeigen Charakteristika gemäß den Erwartungen bezüglich der Eigenschaften von Schwefel und Selen.
Charakterisierungsmethoden umfassen die NMR-Spektroskopie, insbesondere die des Kerns 77Se, die IR- und 119Sn-Mößbauerspektroskopie, Massenspektrometrie sowie Einkristallstrukturanalyse. TGA- und DSC-Messungen dienen zur Betrachtung des Potentials von Indiumchalkogenosemicarbazonatokomplexen als Precursor von Nanomaterialien. SQUID- und EPR-Messung ermöglichen die Untersuchung der elektronischen Eigenschaften eines Vanadium( IV)selenosemicarbazonatokomplexes.
Von einer Substanzbibliothek, basierend auf acht verschiedenen Gold(I)phosphanchloriden, mit 43 Thio- und Selenosemicarbazonatoderivaten und 40 Thio- und Selenoureatoderivaten werden Synthese und Charakterisierung diskutiert. Molekülstrukturen belegen erstmals die monodentate Bindung mehrzähniger Selenliganden an einen Gold(I)komplex.
Selenosemicarbazone reagieren mit Bis(diphenylphosphino)ethylpalladium(II)komplexen unerwartet zu einer dinuklearen Palladiumspezies. Das Phosphan verbrückt zwei Palladiumatome mit tridentat koordiniertem Selenosemicarbazonatoliganden. Dieselbe Verbindung kann über das Selenosemicarbazonatopalladiumchlorid gezielt synthetisiert werden, ebenso vom analogen Platin(II)derivat. Erstmals werden heteroleptische Komplexe mit nitrosubstituierten Chalkogenoharnstoffderivaten der Übergangsmetalle Palladium(II), Platin(II) und Ruthenium( II) vorgestellt.
In vitro Studien ausgewählter Triphenylphosphangoldkomplexe mit Chalkogenosemicarbazonaten zeigen eine chloroquinähnliche Aktivität der Thioderivate gegen den Malariaerreger Plasmodium falciparum, während die der Selenverbindungen etwas geringer ausfällt. Zinnkomplexe dieser Liganden wirken ein Vielfaches stärker als Cisplatin gegen Zelllinien von Lungen-, Darm-, Kopf- und Nackenkarzinomen. Thio- und Selenoureatokomplexe von Gold(I), Palladium(II) und Ruthenium(II) sind aktiv gegen Mamma- und Ovarialkarzinom sowie Leukämiezelllinien.
Es zeigt sich, dass auf Grundlage dieser Chalkogenoamidkomplexe tatsächlich Verbindungen mit interessanten in vitro Aktivitäten erhalten werden. Die Kenntnisse über die Eigenschaften von Selenverbindungen mit Chalkogenoamideinheit in Komplexen im Vergleich zu ihren Schwefelanaloga, z. B. deren Koordination und biologische Aktivität, sind erweitert worden.