Seit Beginn des 20. Jahrhunderts und verstärkt seit Anfang der 70er Jahre wurde bei einer bestimmten Untergruppe psychisch oder psychosomatisch erkrankter Patienten immer wieder über eine reduzierte Fähigkeit berichtet, emotionale Erlebniskomponenten insbesondere (aber nicht ausschließlich) in sozialen Austauschprozessen zutreffend zu identifizieren, in ihrer Bedeutung zu dekodieren und sprachlich zu symbolisieren.
Der amerikanische Psychiater Sifneos führte zur Beschreibung dieses Phänomens den Begriff der "Alexithymie" (z. dt. "keine Worte für Gefühle") ein. Heute wird Alexithymie als dimensionales, zeitlich überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal verstanden, welches im Sinne einer Prädisposition die Genese von psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen begünstigt.
Alexithyme Menschen sind möglicherweise hinsichtlich Wahrnehmung und Verarbeitung emotional qualifizierter Information eingeschränkt, was im sozialen Umgang zu vermehrtem Konfliktpotenzial und bei Alexithymen zur sozialen Isolierung sowie zu einem maladaptiven Sozial- und Gesundheitsverhalten führen könnte.
In der vorliegenden Arbeit wird in zwei Studien experimentell untersucht, ob und inwiefern bei Hochalexithymen unter spezifischen Belastungsbedingungen begleitende zentrale und peripherphysiologische Beanspruchungsparameter verändert sind. Diese würden dann Rückschlüsse auf eine möglicherweise veränderte Wahrnehmung und Verarbeitung von emotionaler Information bei Alexithymen zulassen.
In der ersten Studie zeigte sich, dass bei Hochalexithymen verglichen mit niedrigalexithymen Probanden unter mentaler und emotionaler Belastung weniger spontane Hautleitwertreaktionen auftreten. Zusätzlich ist speziell unter emotionaler Belastung, die Herzrate der Hochalexithmen verringert.
In der zweiten Studie wird gezeigt, dass bei Hochalexithymen nach Darbietung aversiver Bildreize die positiven Komponenten des visuellen ereigniskorrelierten Potenzials (P2, P3 und Slow Wave) stärker ausgeprägt sind als bei Niedrigalexithymen.
Die Befunde werden kritisch im Sinne der "emotional discharge theory" und der "blindfeel"-Hypothese diskutiert, wonach Alexithyme generell ein erhöhtes sympathikotones Erregungsniveau besitzen und gegenüber emotionaler Information "blind" sein sollen