Der Umgang mit Reklamationen stellt Unternehmen, aufgrund einer fortwährend ansteigenden Komplexität von Produktions- / Produktsystemen und zunehmenden Auftrittswahrscheinlichkeit von Fehlern, vor wachsende Herausforderungen. Vor allem im Hinblick auf eine zielorientierte Fehlerursachensuche und Lösungsfindung kann, bedingt durch enorme Mengen an Informationen, eine weitreichende Problemstellung identifiziert werden. Verstärkt werden diese Herausforderungen durch das Fehlen geeigneter Ansätze zum Umgang mit Reklamationen. Derzeit angewandte Ansätze setzen vielmehr auf eine manuelle Verarbeitung, welche auf dem Wissen einzelner Personen im Unternehmen beruht. Dies ist jedoch vor allem im Rahmen des vierten industriellen Wandels nicht mehr zeitgemäß und muss durch die Entwicklung neuer Ansätze kompensiert werden.
Um mit dieser Problemstellung umgehen zu können, beabsichtigt das Dissertationsvorhaben die Entwicklung eines zielgerichteten Fehlerursachensuch- und Lösungsalgorithmus (FusLa). Mit Hilfe dessen soll es möglich sein, Reklamationsinformationen aus der Nutzungsphase zu verarbeiten und deren gesamtes Potential zur Fehlerursachensuche und Lösungsfindung in der Produktion auszuschöpfen. Zur Realisierung dessen wurden zu Beginn des Dissertationsvorhabens zunächst Anforderungen an den FusLa, auf Grundlage aktueller Ansätze der Wissenschaft und Technik, abgeleitet. Aufbauend auf diesen Anforderungen wurde ein theoretisches Konzept konstruiert und dieses in Visual Basic for Applications (VBA) praktisch umgesetzt. Im Ergebnis stand ein Algorithmus, welcher sich in insgesamt vier Prozesse, darunter die Informationssondierung, die Priorisierung, Fehlerursachenlokalisierung und Lösungsfindung, untergliederte. Mit Hilfe der einzelnen Prozesse sollten zunächst alle relevanten Reklamationsinformationen aus dem zur Verfügung stehenden Reklamationstext sondiert und zum Aufbau einer soliden Informationsgrundlage genutzt werden. Mit Hilfe dieser Informationsgrundlage galt es daran anschließend eine Priorität für die jeweilige Reklamation zu berechnen, welche nicht nur quantitativ und mehrdimensional, sondern auch objektiv ist. Weiterführend sollte eine zielorientierte Fehlerursachensuche in der Produktion erfolgen. Angedacht war dafür eine Schnittstelle des Algorithmus zum betroffenen, mit eDeCoDe-modellierten, Produktionssystems. Zuletzt sollten erkannte Fehlerursachen über geeignete Handlungshilfen zielorientiert und bedarfsgerecht eliminiert werden.
Zur Untersuchung der Einsatzfähigkeit des FusLa in der Industrie aber auch zur Herausstellung von Verbesserungspotentialen sowie Schwachstellen, wurde der Algorithmus anhand von zwei Industriebeispielen erprobt. Dazu wurden der Bereich der Stanz- und Umformtechnik sowie der Bereich der Präzisionszerspanung & Kaltumformung als Betrachtungsgegenstände gewählt. Während mit der ersten Validierung die Sinnhaftigkeit der Auswertung des Algorithmus hinterfragt wurde, konnte mit der zweiten Validierung der Einfluss unterschiedlicher Qualitäten von Reklamationstexten bewertet werden. Das Ergebnis der Validierungen zeigte, dass der Algorithmus großes Potential, sowohl im Umgang mit Reklamationsinformationen als auch in der Beherrschung der Komplexität von Produktionssystemen, birgt. Dennoch zeigten die Ergebnisse der Validierung auch, dass der Algorithmus vor allem im Hinblick auf eine geeignete Wahrscheinlichkeitsbewertung und Risikoeinschätzung weitere Forschungsschwerpunkte offenhält. Weiterführend verwies die Validierung auf den Bedarf einer automatisierten Modellierung von Produktionssystemen, um den Initialaufwand im Umgang mit dem Algorithmus zu verringern.