Die Sache mit der Pubertät ist eine äußerst bedeutsame Angelegenheit. Deshalb steht zu diesem Thema für pubertierende Kinder bzw. Jugendliche und deren Eltern eine Fülle von Ratgeberliteratur zur Verfügung. Der Tenor der Berichterstattung ähnelt sich in frappanter Weise: Die Pubertät ist ein biologische Krise, die zum Handeln zwingt.
Dieser Beitrag nähert sich dem Thema Pubertät mit dem Foucaultschen Konzept der Gouvernementalität. Diese theoretische Perspektive erlaubt es in biologischen Definitionen nach gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu suchen. Mit ihr lassen sich scheinbare Naturtatsachen, Wahrheiten, Evidenzen als das vorläufige Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungs- und Bewertungsprozesse analysieren. Als solche können biologische Differenzen - wie sie z. B. in der Ratgeberliteratur für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Frauen und Männer angegeben werden - im Hinblick auf ihre legitimierende Funktion einer soziologischen Analyse unterzogen werden.
Die hier verfolgten Forschungsfragen lauteten: Wie ist die generationale und geschlechtliche Ordnung im Pubertätsdiskurs konzipiert? Welchen Effekt auf die generationale und geschlechtliche Ordnung hatten und haben die Diskurse, die mit der sog. Sexuelle Revolution in den 1968er Jahren verknüpft sind?
Als Datenmaterial wurden (westdeutsche) sexuelle Aufklärungsratgeber für Jugendliche im Zeitraum von 1962 bis 2003 ausgewählt und mit der "Grounded Theory" (Anselm L. Strauss) ausgewertet.
Die wichtigsten Ergebnisse:
In den Aufklärungsratgebern ist die Pubertät (d.h. vor allem die Einkehr von Fortpflanzungsfähigkeit und sexuellem Trieb) das Ereignis, welches die unwiderrufliche Hierarchie zwischen Kindheit, Jugend bzw. Erwachsenheit sowie zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit ausmacht.
Im Analysezeitraum variieren die Dimensionen der - als natürlich behaupteten - Hierarchien. Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes ist das generationale und geschlechtliche Machtverhältnis welches die Pubertät vorgibt, ein traditionell patriarchales.
Die "sexuelle Revolution" betont die Emanzipation der Sexualität von der Ehe und der Fortpflanzung. Zeitgleich wird die Fortpflanzung stark abgewertet. Hierbei verliert der Mann die Fortpflanzungskontrolle an die Frau.
Der Verlust der Fortpflanzungskontrolle modernisiert das patriarchale Machtverhältnis geringfügig. Trotz der zu beobachtenden Machtverschiebungen löst sich aber die Vormachtstellung des männlichen Geschlechts nicht auf.
Anders verhält es sich mit der Differenz zwischen Jugend und Erwachsenheit. Im Zuge der "sexuellen Revolution" verliert die Erwachsenheit ihr sexuelles Primat und ihre Bedeutung als Aufstiegskategorie. Solange der Koitus den Regeln der heterosexuellen Ordnung folgt und hygienisch sowie steril bleibt, kann die Jugendphase nahezu endlos dauern.
Die Hierarchie zwischen der Kindheit und Jugend bzw. Erwachsenheit bleibt von den Modernisierungen im generationalen und geschlechtlichen Machtverhältnis unberührt. Auch nach der "sexuellen Revolution" steht fest, dass die kindliche Existenzweise geschlechtlich nur ungenügend differenziert und also minderwertig und deshalb von der Pubertät auszulöschen ist.